DON JUAN, AS TOLD BY HIMSELF

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 Such savoring quickly elicited the pleasurable anticipation of the woman, the unknown one, who would become part of him at the next station and,vice versa, he a part of her; and, meanwhile, he was glad on this, the third day of his week of joy, not just to  be in a state of anticipation for the next one, but also for the one after that. And at the same time, he persued his melancholy  from station to the next station; his inconsolability. With time this state of affairs produced a plan, all by itself, without any doing on his part. He saw himself  fleeing peacably, his fleeings were peace as such; only in flight did he become so peaceful. Restless Don Juan only became again the closer to the encounter with the woman. Immediately preceding it, he would not have minded if a higher power, a fire storm, an earth quake, nay the end of the world, had intervened. But meanwhile he had learned that nothing could prevent the meeting from taking place. The state of war in Ceuta made the meeting, "as they say," inevitable. From one day to the next there existed no higher power than that between him and the woman. As to "love", not one word on that score from Don Juan.  That would only have diminished what transpired.

From Handke's virtuoso dance on top of the pin of narrative, Don Juan, the story, once again, of a different woman per day in a different city!


 

 


 Das grosse Staunen des Peter Handke
In seinem neuen wunderbaren Buch =Gestern unterwegs= erfaehrt man das Glueck des Lesens
Von Ulrich Greiner


Als die Jaeger und Sammler von den Ackerbauern verdraengt wurden, kam das Zeitalter der Sesshaftigkeit. Jahrhunderte hatte es Bestand, aber nun scheint es vorueber. Heutzutage ist fast ein jeder staendig unterwegs, sei es freiwillig, um das Rad seiner Geschaefte in Gang zu halten; sei es unfreiwillig, weil ihn das Rad des Schicksals von Exil zu Exil wirft.
Was aber ist von einem Mann zu halten, den es folgendermassen umhertreibt? Es muss sich um einen von Interpol gesuchten Kriminellen handeln: Im November 1987 begibt er sich unauffaellig (teils zu Fuss, teils mit dem Bus) von Kaernten nach Slowenien, wandert weiter nach Zadar, Split und Dubrovnik, bis er schliesslich nach Thessaloniki und Athen gelangt. Dort scheint man seine Spur gefunden zu haben, denn urploetzlich fliegt er nach Kairo, verbringt dort einige Tage und taucht im Januar in Paris auf. Am 15. des Monats jedoch sehen wir ihn in Berlin, kurz darauf quaelt er sich durch die deutsche Provinz: Bremen, Hildesheim, Fulda, Frankfurt, Muenchen. Auch dort wird ihm der Boden zu heiss. Im Februar eilt er nach Bruessel, Gent und Bruegge, um kurz darauf in Tokyo zu landen. Dort erblickt er eine ihn anziehende Schoene, aber anstatt ihr zu folgen, flieht er im Schneesturm nach Hokkaido, findet auch dort keine Ruhe und begibt sich nach Anchorage und Fairbanks.
Alaska im Maerz: Das sollte ein halbwegs sicherer Ort sein. Unser Mann jedoch fliegt nach London, und am 18. Maerz sehen wir ihn in Lissabon, spaeter in Porto und Vigo. Am 1. April jedoch ist er in Leon, kurz darauf in Arles, Wien, Aquileia. Juli Paris. Im Herbst sucht er von neuem Slowenien auf, den Jahreswechsel 1988/89 verbringt er in Schottland, wiederum eingenaesst von Stuermen und Schneeschauern, reist aber schon Ende Januar in die Normandie, gibt sich dort als interessierten Betrachter der Kathedralen von Rouen und Amiens, was aber ihm nichts zu helfen scheint. So wandert er denn, als Rucksacktourist verkleidet, im Februar zwei Wochen querfeldein durch die Pyrenaeen. Im Maerz jedoch sehen wir ihn im Schnellzug auf dem Weg von Barcelona nach Cordoba, und am 6. April fliegt er von Malaga nach Mailand.
Der Schnee: =Ein helles Daherfliegen ueber die blaugruene Heide=
Wir wollen seine Irrfahrten nicht weiter im Detail verfolgen, sein Reisetagebuch umfasst 550 Seiten. Deshalb nur im Zeitraffer eine Auswahl der weiteren Stationen: Arezzo, Assisi, Wien, Frankfurt, Paris (offenbar hat er hier eine Art Wohnsitz), Cannes, Wien, Muenchen, Venedig, Paris, Bruessel, Amsterdam, Lyon, St. Moritz, Florenz, Udine, Triest und wieder Slowenien (weshalb immer Slowenien: befindet sich hier der Ort seiner Untat?); dann Frankfurt, Metz, Nantes, Bordeaux, San Sebastian (jetzt schreiben wir den Dezember 1989), Vittoria, Soria, Valladolid, Salamanca, Madrid, Barcelona, Strassburg, Luettich und endlich Paris, Juli 1990.
Ja, es handelt sich um Peter Handke. Nein, es handelt sich nicht um einen Gejagten. Das Gehen foerdert das Denken, wie schon die Griechen und ihre Peripatetiker wussten. Auch Handke erfaehrt es: =Merke es dir, endlich: Das Gehen ist (d)eine Erkenntnis – das lange, ausgreifende, vielfaeltige Gehen, ueber Berg und Tal (so wie heute von Tarcento ueber Nimis–Attimis–Faedis bis Cividale, tagelang, bis in die Nacht); die Welt will von deinen Schritten durchfurcht werden – ja, ich muss mehr ueber die Huegel stuermen!= Da befindet er sich mal wieder auf einer seiner Wanderungen, nun im Friaul. Zweimal wandert er durch Slowenien, einmal durch die Pyrenaeen, ein andermal ueber schottische Hochmoore und hinauf auf den hoechsten Berg dort:
=Ein grosses Rauschen empfing mich gerade bei der Ankunft auf dem Gipfelplateau des Ben y Vrackie, Rauschen wie vom Berggeist selber, und es kommt von einem kleinen Bach unter dem Heidekraut; und dazu mein Ausruf: +Jetzt wird es schneien!+ Und schon geschah ein helles Daherfliegen ueber die blaugruene Heide, +flieg ins offene Buch, Schnee! Bring es zum Knistern!+ Und es knisterte.  Und wie nun das Schneewehen die Farben aufscheinen laesst, auch an mir, dem einzigen Lebewesen weit und breit Sphaere des Schneiens, Spektrum des Schnees. Vom Westen die Regenwolken anreisend, von Osten die Schneewolken, deren feine, rhythmische Schwaden im Gegensatz zu den formloseren, regellosen Regenwolken, und in der Mitte des Geschehens beide Wolkenzuege ineinander uebergehend zu einem gewaltigen leuchtenden Dunst.=
Solch wunderbare Naturbeschreibungen machen dieses Tagebuch (es ist voll davon) zu einem einzigartigen Leseerlebnis. Aber man ahnt, dass dieses vollkommene oeffnen aller Sinne seinen Preis hat: die Einsamkeit. Als waere er Friedrichs Wanderer im Nebelmeer, zieht Handke einsam durch naechtliche Strassen und ueber sturmumtoste Felder, ein Moench hingebungsvoller Wahrnehmung. Selbst trostlose Landschaften (unsereins wuerde sie trostlos nennen) schrecken ihn nicht, solange er nur gehen kann: =Das Gehen auf den ehemaligen Eisenbahnschienen durch die Steppe beim ehemaligen Bleibergwerk im Gegenwind; bergauf ueber Kalkhaenge; der verfallene Olivenbauernhof, umstanden von Eukalyptus, der rauchende Abfallhang, all das beitragend zum Gehgefuehl, zum In-der-Weite-sein, zwischen den oelbaeumen, die rauschten und tosten, an einer Stelle das laengst ueberfluessige Warnkreuz +Achtung Zug+, verrostet inmitten der oelgaerten; zurueck in die bei der Kaelte und dem Wind wie leere Stadt; der heikle, gar empfindliche Zigeuner in der Bar, vorwurfsvoll auf die eine Fliege da zeigend (die ihm dann auch prompt in das Bier fiel).=
Tagelang, wochenlang oft spricht er mit keinem einzigen Menschen. Einmal notiert er: =Unterwegs: die Momente des Behaustseins enttaeuschen mehr und mehr; das Unbehauste dagegen wird immer heimischer.= Und doch: Zuweilen lastet das Alleinsein schwer auf ihm. Er nennt es dann =Sorge=, ein von seinem Freund und Gewaehrsmann Hoelderlin entlehntes Wort, Inbegriff der aengstlichkeit und Kleinmuetigkeit. Zwar redet er sich immer wieder guetlich zu: =Es ist kein Unterschied zwischen einer falschen und richtigen Sorge die Sorge an sich ist falsch.= Aber dann wieder betet er um Befreiung: =Lass endlich den Ernstfall eintreten, damit ich die Sorge los bin und handeln kann!=
Dieser =Ernstfall= (nein, es geht nicht um Krieg) tritt zweimal ein in der Liebe. Die erste zu einer schoenen Unbekannten, offenbar englischer oder amerikanischer Herkunft. Handke plaudert ja niemals Intimitaeten aus, aber immerhin doch dies: =Das +Pritzeln+, Klicken, Knacken, maschinenhaft, gestern der Heupferdchen im Karst ueber dem See von Doberdob, unter dem fast identischen Geraeusch der ueberlandleitung. Und die schwarzen Maulbeeren in der Wildnis. Und das Rot ihrer Lippen mit dem Rot der Erdbeere. Und die aus der Steppe mit heiserem Gebell hervorbrechenden Rehboecke. Und ihr weisser Reisstrohhut in der huefthohen blumenreichen Savanne.= Mit der zweiten Liebesgeschichte, ueber die wir wiederum fast nichts erfahren, endet das Buch. Sie scheint von Dauer, denn der Autor begibt sich auf die Suche nach einer Wohnung, die offenbar nicht nur fuer ihn allein bestimmt ist.
Bevor er am Ende zur Ruhe kommt, sehen wir ihn unterwegs, wie er den wunderbar weisshaarigen alten Schuster in Tripoli beobachtet; den Wachhabenden vor der amerikanischen Botschaft in Tokyo; den Lesenden in Cambridge (=sie kuesste ihn, der las; er las befluegelt weiter Blick durch ein Erkerfenster, Abbey Road=); die allein wartende Frau in einem spanischen Hotel. Er ist unterwegs bei jedem Wind und Wetter, mit Sonne, Mond und Sternen; unterwegs im japanischen Bambuswald (=mein Klopfen gegen die Bambusschaefte im grossen Bambuswald, allein, der letzte Mensch, bei Wind und grauer Kaelte=); unterwegs mit Hoelderlin, Novalis, Inoue, Wittgenstein, Epiktet, Tschechow, Skacel und immer wieder der Bibel.
Die Bibel liest er im Original und macht sich uebersetzungskritische Anmerkungen. Er geht in die Kirchen und Museen, und es sind vor allem die biblischen Darstellungen, die ihn anziehen. In Amiens sieht er, =wie die Schlafenden im Mittelalter immer dabei ihr Gewand festhalten: sich wegtraeumend daran festhalten=; und in Sansepolcro sieht er den Auferstandenen des Piero della Francesca, =noch tief erschrocken vom Totsein=. Bemerkenswert, wie sehr sich Peter Handke dem Katholischen und also seiner Herkunft wieder naehert, ein kenntnisreich und voller Skepsis Glaubender. =Die Geschichte Jesu als eine dramatische Entdeckungsgeschichte: die Entdeckung des Goettlichen in sich =die wiederum zum Menschendrama an sich fuehrt=, schreibt er einmal, und damit ist sicherlich auch gemeint, dass wir alle das Goettliche in uns suchen sollten. Jedenfalls sucht es Handke, selbst wenn dieses Goettliche nicht unbedingt moraltheologisch korrekt ist und hoelderlinsche Eigenschaften hat.

Er ist wahrhaft ein Pilger, aber nicht im Sinne von Georg Thurmairs Kirchenliedklassiker Wir sind nur Gast auf Erden, denn dafuer interessiert ihn diese Erde allzu sehr, und wir lernen sie durch ihn wieder kennen, als waere sie uns neu. Seine Pilgerschaft traegt religioese Zuege, in der Hauptsache aber ist sie aesthetisch begruendet =im urspruenglichen Sinn, denn aisthesis heisst Wahrnehmung. Wenn er etwa ueber den Begriff der =Levitation= bei Teresa di Avila nachdenkt, schreibt er: =Du kommst da doch, obwohl leicht levitiert, auf deinem Grund an und schaffst, in der so genannten Levitation, die Verbindung zu deinen Gruenden, immer wieder; also hab keine Angst dabei vor einer Unwirklichkeit; der Wirklichkeit der Historie zieh vor die des je Geschehens, Werdens, Seins, Verschwindens =das ist die Kategorie, und nicht die Geschichte.=
Die Kinder halten die Hand in den Regen: Das ist ihr Gedicht
Das ist ein romantisch-philosophisches Projekt, es bezieht sich auf die beruehmte Forderung: =Die Welt muss romantisiert werden.= Was das heissen soll, erlaeutert Novalis so: =Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewoehnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Wuerde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.= Nichts anderes tut Handke, und er tut es im Bewusstsein einer Tradition, der er ausdruecklich angehoeren moechte. Der Wille, einer der =Grossen= (er schreibt sie meist in Anfuehrung) zu sein, taucht in mehreren Notaten auf. Folglich ist das hier erzaehlende Ich kein privates, sondern ein beherrschtes, geformtes, das gerade deshalb Macht, Ausdrucksmacht gewinnt. Der Effekt, der sich auf den Leser uebertraegt, ist wahrhaft zauberisch: Nach und nach (und man kann dieses grossartige Buch nur nach und nach lesen) verlangsamt man sich, gewinnt Gehoer fuer die Stille, die Handke immer wieder fordert und findet, schliesslich ein Auge fuer das scheinbar Unscheinbare und Schoene, das uns =Handwerkern= (Hoelderlin) zumeist entgeht, immerzu geplagt von den Geschaeften des Alltags. Wem ist das schon aufgefallen: =Das seltsame Gruessen der Schotten, den Kopf zur Seite verrenkend, als jucke sie etwas am Hals.= Oder dies: =Der Saeugling, chauffiert in seinem Wagen von der Mutter, laesst deren Liebesblick schmunzelnd ueber sich ergehen.= ueberhaupt die Kinder: Ihr Anblick erregt in Handke die mildesten und frohesten Gefuehle, und einmal erkennt er in ihnen einen Got-tesbeweis. Oder das Dichtertum: =Die Kinder als Dichter: sie stehen da, halten die Hand in den Regen, und das ist ihr Gedicht.= Und dann beobachtet er dies: =Ein Kind zum andern: +Und was kannst du?+ Das andere Kind: +Ich kann gar nichts.+ (Begeistert:) +Ich kann ueberhaupt nichts!+=
Man moechte endlos zitieren. Wir erfahren =das Erzaehlen als das grosse Staunen= (das ist ja sein Ziel, das er konkurrenzlos erreicht) und finden es ganz natuerlich, =dass es so uebergeht ins Singen=, wie in den grossen Epen. Von einem Buch zu sagen, es mache gluecklich, klingt nach Peter Hahne. Dieses stammt von Peter Handke. Es zu lesen beschert Glueck.    

 
SAMSTAG, 6. AUGUST 2005 9
Schreibspuren des Verweilens
In seinem juengsten Werk zeigt sich Peter Handke als unermuedlicher, aufmerksamer und geduldiger Wanderer
Mit =Gestern unterwegs=setzt
Peter Handke sein Mit- und
Nachschreiben taeglichen und
naechtlichen Geschehens fuer
die Jahre 1987 bis 1990 fort.
CHARLES CORNU
Das Jahrfuenft zuvor, festgehalten
im Band =Am Felsenfenster morgens
=, 1998, war bestimmt gewesen
von Sesshaftigkeit; Peter
Handke hatte sich damals, mit wenigen
und kurzen Unterbruechen,
fast ausschliesslich in Salzburg
aufgehalten. Der Mittvierziger sodann
ist bestaendig unterwegs: ein
Reisender mit Bahn und Flugzeug,
jedoch auch, darin Robert Walser
aehnlich, ein unermuedlicher, aufmerksamer
und geduldiger Wanderer.
Davon zeugen jetzt die eben
erschienenen Aufzeichnungen 
=kurze Notate meist nur, gelegentlich
auch ausfuehrlichere Texte  ,
die die Zeit vom November 1987
bis Juli 1990 umfassen.
Wo war Handke ueberall in diesen
rund dreissig Monaten? Den
Balkan hat er bereist (damals noch
mit dem =alten=Jugoslawien, so
dass sich denn jegliche politische
Polemik eruebrigt) bis hinunter
nach Griechenland; auch Spanien
und Portugal, Frankreich und Italien
waren Ziele des Reisens und
kuerzeren oder laengeren Verweilens,
und selbst so ferne und
fremdartige Laender und Regionen
wie aegypten, Japan und Alaska
wurden aufgesucht und aufgenommen
ins Gedaechtniss uebrigens
immer ohne Begleitung, stets
ist Handke ein Fremder, der sich
Zeit nimmt fuer die Menschen unterwegs,
doch keinem einzigen in
Vertraulichkeit nahe kommt.
Auch ein bisschen Schweiz
kommt vor in den Aufzeichnungen,
sogar in einem nicht untypischen
Aspekt: =Bei dem staendigen Schiesskrach
in den Schweizer Bergen
wallt der richtige Hass in mir erst
auf, sowie die Doppel-Schuesse abgehen
=und, St. Moritz, frueher Morgen,
=die Apostel der Geistlosigkeit
ballern schon wieder, und von den
armen Bergen das Echo des Echos=.
Ein wenig Bern ist ebenfalls vermerkt:
=Bern: Stadt, die fast leer ist
aber ohne Abwesenheit.=Jedoch, es
gibt Wichtigeres.
Das Kleine und das Grosse
Man kann sich  heute  aergern,
sich empoeren ueber Handke, wenn
er sich, auf einem Auge blind, fuer
serbische Nationalisten stark
macht, und man mag gelegentlich
spoetteln ueber den allzu pfleglichen
Umgang mit der zarten Innerlichkeit
(dazu immerhin seine Mahnung
an sich selbst: =Verlier noch
die letzte Spur der Verliebtheit in
dein eigenes Wahrnehmen=), es ist
trotz allem nicht zu bestreiten,
dass Handke in einem ganz besonderen
Masse empfaenglich und aufnahmebereit
ist fuer jegliche Erscheinung
dieser Welt. Seien die
Phaenomene gross und von anerkannter
Wichtigkeit, beispielsweise
romanische Kunstwerke, die
ihn mehr als manches andere ansprechen,
seien sie winzig, banal
und alltaeglich, bedeutsam und
aufzeichnenswert duenken sie ihn
alleweil.
Zwei Beispiele von vielen moeglichen,
notiert in ganz unterschiedlichen
Gegenden: =Gestern, als es
noch nicht regnete, bei trockenem
Asphalt, landete neben einem liegenden
Platanenblatt ein Spatz,
und das Blatt flog davon kurz auf;
als ein anderer Spatz landete, rollte
von ihm ein Steinchen hin auf das
Blatt.=Und: =Der fruchtbare Gegensatz
zwischen zwei Dingen, der
eins wie das andere erst hervorbringt:
die Schwaerze der Holunderkuegelchen
und die Helle der
daran haengenden Regentropfen.=
Das sind Beobachtungen  nein,
nicht Beobachtungen, wenns nach
Handke geht: =Vermeide das ,Zuschauen‘
und schon gar das ,Beobachten‘
 vielmehr: ,Dabeisein‘;
,Teilnehmen‘; ,Teilhaben‘, also
Bezeugungen einer Haltung sind
das, einer Erlebensweise, mehr
noch: einer Lebenseinstellung, die
das ganze, ueber fuenfhundertseitige
Werk nicht nur praegen, sondern es
ueberhaupt ausmachen und die die
Leser auch deswegen einnehmen
fuer Handkes Schreiben, weil sie so
selber sehend werden.
Konstanten
Es gibt bei Handke  ob er, wie in
den frueheren Jahren, bloss vors
Haus tritt oder ob er weitherum
unterwegs ist und innehaelt irgendwo
 Konstanten, die fundamental
sind fuer sein Denken, sein Schauen,
sein Schreiben, sein Auf-der-
Welt-Sein ueberhaupt. Sie lassen
sich benennen mit: Leere, Stille,
Langsamkeit. Sie bereiten den
schoepferischen Boden, aus dem
Handkes Kunst-Werk waechst. (Der
Handke der spaeten Achtzigerjahre
dem von heute, dem immer wieder
agitierenden, ins Stammbuch:
=Die Kunst . . . kann nicht ideologisch
sein, nie und nirgends; sie ist
die Form des Kindlichen, und das
Kindliche ist nicht ideologisierbar
 wenn es das Kindliche ist.=)
Auf die genannten Erfahrungen
kommt er, wo immer er Station
macht oder flaniert und schreitet
(=Grundgesetz: das Gehen= siehe
Robert Walser), immer wieder
zurueck, sie muessen ihn begleiten,
umhuellen, umfassen; darueber legt
er sich stetsfort Rechenschaft ab.
Drei, vier charakteristische aeusserungen
dazu: =Niemand da: /
Sprich mit den Gegenstaenden der
Langsamkeit / Sprich mit dem
Licht der Gegenstaende der Langsamkeit
/ Sprich mit den Gegenstaenden
im Licht der Langsamkeit.
=Und: =Ein moeglicher Leitspruch
fuer meine Art Tun (Arbeiten):
Sich gelassen vortasten; gib
dir dabei immer wieder  das ist zu
machen  den Ruck des Zeithabens.
=Und: =Heute habe ich
zum ersten Mal seit langem, in einer
Stufengasse von Perugia, wieder
die Leere erblickt (ja), und das
war Schoenheit.=Schliesslich: =Die
Leere: fuer nichts wuerde ich sie tauschen.
=
Gedanken, Einsichten, Nachdenklichkeiten,
schoen, bestuerzend,
kritisch: Sie machen neuerlich
die Essenz von Handkes Aufzeichnungen
aus. Zugegeben: Man
wuerde diese wohl nicht ganz so geduldig
zur Kenntnis nehmen, wenn
sie nicht von einem viel geruehmten
Dichter stammten. Aber anderseits:
Sie schaffen die Gelegenheit,
Handke im Unterwegssein zu einem
hoechsten Ziel des Schreibens
zu erleben und ihn damit im Einverstaendnis
zu sehen etwa mit Gustave
Flaubert oder mit =unserem=
Gerhard Meier: =Das allerschoenste
Werk, bestehend aus Nichts, und
wieder Nichts, und dem menschlichen
Atem, dem Licht, den Tagen
und Naechten, hat die Menschheit
noch nicht geschaffen.=
[i] DAS BUCH Peter Handke:
Gestern unterwegs.
Aufzeichnungen November 1987
bis Juli 1990. Verlag Jung und Jung,
Salzburg und Wien 2005. 553
Seiten, Fr. 42.50.


Die Kunst ist die Form des Kindlichen

Schreiben als Sehnsucht: =Gestern unterwegs=, Peter Handkes poetisches Tagebuch der Jahre 1987 bis 1990

Von Helmut Boettiger

Peter Handke schreibt mit der Hand. Er schreibt unterwegs, er schreibt im Cafe, er schreibt in einem Linienbus im Friaul oder auf suedspanischen Eukalyptuslichtungen. Das Leben mitschreiben: diese Grundlinie seiner Literatur hat sich in seinen tagebuchartigen Aufzeichnungen immer am deutlichsten gezeigt; =Gestern unterwegs= sind die neuesten davon. Geschrieben wurden sie zwischen November 1987 und Juli 1990. Das war fuer Handke eine Zeit des staendigen Unterwegsseins, des Reisens ohne festen Wohnsitz. Die Stationen sind zahlreich: vom Balkan ueber Schottland oder Spanien bis nach aegypten, Japan und Alaska. Das Buch endet mit dem Einzug in ein Haus bei Paris.

Genaue Einzelbeobachtungen wechseln auch dieses Mal mit poetologischen ueberlegungen ab. Neu jedoch ist jetzt die Rolle, die Kunstwerke aus der Zeit der Romanik spielen, die fruehmittelalterliche Schlichtheit. In den romanischen Formen findet Handke seine =Dorfheimat= wieder. Im kastilischen Lean fragt er sich, warum man =bei uns= die nackten Steine der Romanik nicht =ausgehalten= habe, man habe sie verputzt und =gefaerbelt= - ein Wort wie =gefaerbelt= findet sich organisch ein. Handke horcht den einzelnen Woertern nach, und in diesem Nachhorchen entstehen unwillkuerlich neue Worte, die dem Nachhorchen entsprechen.

Ausgiebig widmet er sich dem Motiv der Wurzel Jesse, den immer neuen Formen des Wurzelwerks und des Baumstamms bis zu den Darstellungen des Goettlichen ganz oben. Er sieht hier eine Verbindung zu seiner eigenen aesthetik: =Romanik: das Abenteuer der Varianten in der Wiederholung=. Der Weg zum Portal der Kathedrale von Amiens in der Picardie, eine =leicht abschuessige Bahn=, erinnert ihn an die =ebenso abschuessige Muendung des rio Douro bei Porto in den Atlantik=, die er neun Monate vorher gesehen hat. Diese Wiederholungen, diese gleichgerichteten Empfindungen kommen beilaeufig, sie sind nicht erzwungen.

Schreiben - das ist fuer Handke vor allem eine Sehnsucht. Er sagt einmal, dass er eigentlich nie schreiben konnte, im Sinne von Koennen: sein einziges Talent sei seit je die Sehnsucht gewesen. Vermutlich sind es deshalb immer wieder Kindheitsbilder, die sich zwischen diese Aufzeichnungen schieben. In Lissabon taucht wie eine Vision ploetzlich die fruehe =Karsthoehle= auf. Die Erinnerungen an die Kindheit verschmelzen mit der aesthetischen Suche nach den urspruenglichen Formen in der romanischen Kunst. Wenn es einen Ruhepunkt in diesem zweieinhalbjaehrigen Umherschweifen gibt, dann ist es die heimatliche Karstlandschaft zwischen Italien und Slowenien, an der Grenze zu Kaernten.

Diese Gegend sucht Handke am haeufigsten auf. Jugoslawien ist das =Gegenland=, hier waltet die =Traumzeit=, hier sind die Dinge noch =wirklich= - es ist die Moeglichkeit der Kindheit, die Handke in diesen Momenten erkennt und evoziert. Alle politischen aeuerungen von ihm, die Jugoslawien betreffen, haben hier ihren Ursprung. Als er im Herbst 1987 von dort nach Griechenland kommt, stellt er als Erstes fest: =Ploetzlich zeigen wieder alle Leute stolz ihre Uhren vor.= Mit Politik hat das alles wenig zu tun. Dennoch gibt es im Herbst 1987 eine merkwuerdige Vorahnung: =Gott, bewahre uns vor einem nationalen Aufbruch! Das dachte ich heute im makedonischen Zug beim Lesen der fruehen Gedichte von Hoelderlin.=

Aber er liest Hoelderlin natuerlich weiter. Hier ist eine untergruendige Spannung zu spueren, die Handke nie aufhebt. Es gibt eine Stelle, an der er darueber nachdenkt, dass Hoelderlin ueberwunden werden muesse, genauso wie Kafka - dagegen stehe nur Goethe. Der sei einfach =nur da, rein da=. Das entspraeche dem Lebens- und Literaturgefuehl, das sich Handke zu erschreiben versucht. Doch es faellt auf: Sein Ideal ist zwar Goethe - aber er schreibt von diesem Ideal im Duktus Hoelderlins. Er schreibt von der Harmonie - aber mit vibrierender Nervositaet. In Handkes Beschwoerung des Urspruenglichen, des Reinen, des Handwerklichen liegt ein Pathos, das mit Goethes Vorstellungen vom Austarieren der Weltlaeufte nichts zu tun hat.

Es gibt viele Imperative in diesem Buch, die er an sich selbst richtet. Handke liebt apodiktische Wendungen, er liebt die Ausschliesslichkeit. Die Ruhe, nach der er sich so sehnt, die Gelassenheit, die Geduld: sie stehen oft im Gegensatz zu seinen furiosen, unbedingten Forderungen. Selbst in den schlichtesten, poetischsten Beschreibungen existiert ein Unterstrom, der die Schlichtheit und die Poesie, zunaechst kaum merklich, mit erfasst. In Handkes Schreiben liegt eine latente Aggression. Da gibt es etwas Hochfahrendes, etwas Hochgespanntes, Reizbares, Erregbares. Von da aus ist es nicht mehr weit bis zu einer Art heiligem Zorn. Das Wort =Zorn= faellt haeufiger in diesen Aufzeichnungen, es ist durchaus positiv besetzt. Handke stellt ihn gegen die =Wut=, die ohnmaechtig ist. Und so kommt es nicht von ungefaehr, dass Handke die Poesie mit demselben Zorn verteidigt, mit dem er andernorts auch Milosevic= Serbien verteidigt hat: =Zorn ist eine Art Liebe (darauf bestehe ich).=

Die Zerstoerung der Kindheit ist fuer Handke die Zerstoerung der Welt, und an diesem Punkt gibt es fuer ihn kein Denken mehr. Der jugoslawische Buergerkrieg hatte fuer ihn vor allem diese Bedeutung. Wenn die Dinge von frueher verschwinden, befaellt ihn ein - beinahe kindlicher - Zorn. Handke sucht fuer sein Schreiben nach der Haltung des Kindes, und er benennt das oft direkt: =Mein Kind hat mir die Sprache erhalten.=

In seinem Buch =Mein Jahr in der Niemandsbucht= ist er, nach den Jahren des Reisens, in das Haus bei Paris eingezogen, und er fuehlt sich gewaltig gestoert durch das laute Rasenmaehen des Nachbarn. Er kann sich darueber gar nicht mehr beruhigen - bis er den Bleistift herausholt und mit ihm gegen den Rasenmaeher anschreibt. Und so unglaubwuerdig es klingen mag: es gelingt ihm. Die Poesie wirkt gerade in ihrer Unbemerktheit. Wer will, mag das fuer einen kindlichen Trotzglauben halten. - =Die Kunst ist die Form des Kindlichen=, so absolut sagt Handke das in diesen Notizen, und er begruendet es damit, dass das Kindliche =nicht ideologisierbar= sein koenne. Ob das wirklich stimmt?

Auf jeden Fall ist hier der ganze Handke enthalten, derjenige der Poesie wie auch derjenige der Politik. Und er weiss   wohl, dass diese Bereiche nie zusammenkommen werden: =Die Kinder treten vor das Haus in die Sonne, und es faengt an, zu schreiben.=

Peter Handke: Gestern unterwegs. Aufzeichnungen November 1987 bis Juli 1990. Verlag Jung und Jung, Salzburg. 550 Seiten, 25 Euro.

Aktualisiert: 03.08.2005, 06:16 Uhr 
 
    
 


 

Suche nach dem vorurteilsfreien Blick

Von Ulrich Ruedenauer

Peter Handke legt das fuenfte Journal vor, das die Jahre 1987 bis 1990 umfasst   =Gestern unterwegs= zeigt auch das Ankommen des Autors

Mit-Schreiben bedeutet, teilzuhaben an den Dingen, sich einzulassen auf den Augenblick, Distanzen zu ueberbruecken. Es ist die Faehigkeit, dem Moment im Wort Gestalt zu geben, ihn nicht durch Reflexion erst entstehen zu lassen, sondern in der Erzaehlung.

= Gestern unterwegs=, schreibt Peter Handke im Vorwort seines neuesten Journals, =gibt sich, nach dem  Gewicht der Welt, der  Geschichte des Bleistifts, den  Phantasien der Wiederholung,  Am Felsfenster morgens, als die letzte Phase meines Mit-Schreibens mit den taeglichen und naechtlichen Geschehnissen.= =Gestern unterwegs= markiere, so Handke weiter, auch den uebergang vom puren Mit-Schreiben zum =nachtraeglichen, leicht zeitversetzten Notieren: von dem, was  jetzt geschieht, zu dem, was gestern geschah, und vorgestern, und vor einigen Tagen, und vor einer Woche...=. Einen Grund fuer diesen uebergang fuehrt Handke ebenfalls an: Es haenge wohl mit dem staendigen Unterwegssein zusammen.

Das fuenfte Journal, das die Jahre 1987 bis 1990 umfasst und den bezeichnenden Titel =Gestern unterwegs= traegt, dokumentiert eine Zeit der Wohnsitzlosigkeit, des Reisens, des Gehens. Unterwegs ist Handke in Slowenien oder Japan, in Spanien oder England, Italien oder Griechenland. Immer wieder vergewissert er sich aufschreibend des vorangegangen Tags, und im Erblicken einer Landschaft oder einer Stadt erinnert er sich anderer Landschaften und anderer Staedte. Im Gehen vergeht die Zeit, aber sie entsteht auch allererst: Erinnerung ist fuer Handke gleich Geschichte, unkorrumpierte Erzaehlung. Schauen und Gehen und Beobachten als Teilnahme   immer naeher geraet Peter Handke seiner Vorstellung von Epik, seinem Verlangen nach Erhabenheit und Schoenheit, die sich in den lakonisch kurzen und dann wieder wuchernden, den Naturformen nachgebildeten Saetzen ausdrueckt.

=Gestern unterwegs= besteht   wie auch die vorhergegangenen Journale   aus kurzen Erzaehlskizzen, aus kleinen Notaten zu entstehenden Werken (=Versuch ueber die Muedigkeit=, =Der Bildverlust=, =Versuch ueber die Jukebox=), aus Natur- und Kunstbeobachtungen, teilhabenden Beschreibungen alltaeglicher Ereignisse und Erlebnisse, aus einleuchtenden und manchmal gewagten Aphorismen. Es ist, als wuerde man darin den verdichteten Handke entdecken koennen: =Das Schreiben hat ein Abenteuer zu sein, oder es ist nicht  und es ist mir doch fast noch jedesmal gelungen, mich in solch ein Abenteuer zu verwickeln? verwickeln zu lassen?= Fuer Handke hat Schreiben mit Dringlichkeit zu tun, er moechte =durchdrungen sein= von der ihn umgebenden Welt, auf die er sich gehend einlaesst.

=Gestern unterwegs= zeigt auch einen Autor, der endgueltig an einem Wendepunkt angelangt zu sein scheint: Immer staerker konzentriert er sich auf ueberzeitliches, Exemplarisches, Gelebtes; das Tagesgeschaeft ekelt ihn an, Zeitungen liest er nur mit Widerwillen, die aktuellen Ereignisse finden kaum Eingang in die Schrift. Wirklich wird fuer Handke nur, was er aufschreibt. Sprechen ist fuer ihn Geplapper; darin sind die gewoehnlichen Dinge aufgehoben.

Handke ist auch in diesem Journal auf der Suche: nach Stille, nach einer anderen, der Welt des Geredes abgetrotzten erzaehlenden Sprache, nach einem kindlichen, vorurteilsfreien Blick auf die Dinge. Das geht nicht ohne Pathos ab, nicht ohne Bitterkeit und auch Zorn auf die, denen diese Ernsthaftigkeit nicht gegeben ist. In einer Zeit des Banalen erscheint diese Unbedingtheit, die Wahrhaftigkeit anstrebt, wohltuend. Eigentlich moechte man nicht als einer aus der =Sekundaerwelt= auf diese Skizzen antworten, sondern gleichfalls mit Poesie. Aber wie koennte das gelingen?

Peter Handke: =Gestern unterwegs. Aufzeichnungen November 1987 bis Juli 1990=. Jung und Jung. 553 Seiten. 25 Euro. ISBN 3-902144-99-8.

=Von Ulrich Ruedenauer