VARIOUS REVIEWS, KALI, ETC

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These are my favorite games
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 27.02.2007
 
Geradezu ins Schwärmen gerät Rezensent Andreas Breitenstein über Peter Handkes "Vorwintergeschichte". Dabei hat er sich nach eigenem Bekunden nur "zögerlich" an die Lektüre gemacht, sieht er sich als Rezensent im Falle Handkes doch unter starkem "Bekenntniszwang". So räumt er dann auch ein, mancher Leser werde das "missionarische Pathos" dieses Buchs unerträglich finden, und ihm selbst scheint es bisweilen in Sachen Kulturkritik und im Vorwurf der Seinsvergessenheit an die Gegenwart ein wenig dick aufgetragen. Doch letztlich lässt er keinen Zweifel daran: Er bekennt sich zu Handke. Die "schreckliche Schönheit", die "witzige Melancholie" und das "heitere Grauen", die über dem Buch liegen, haben ihn ebenso beeindruckt wie Handkes virtuoses Spiel mit Widersprüchen, Zeichen, Wundern und Motiven aus dem Hinduismus und dem Erzählfundus der abendländischen Literatur. Neben Elementen aus dem Neuen Testament, der Mystik, des Märchens, des Epos, des Initiationsromans, des Roadmovie findet Breitenstein in dem Werk auch viel romantische Bergbau-Mythologie, Fausts Gang zu den Müttern und Wagners Venusberg. Lesern, die mit dem Pathos Handkes nicht so viel anzufangen wissen, hält er entgegen, dass der Meister durchaus über "tiefgreifende Ironie im poetischen Verfahren" verfüge. Und so verortet der Rezensent das Werk zwischen "Tod ernst und pop-ironisch". 
 
Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 14.02.2007
 
Peter Handke mache seinem Ruf als Prediger wieder einmal so richtig die Ehre, meint Rezensentin Ina Hartwig, aber es sei wunderbar. Geradezu "atemberaubend" sei erneut die "stilistische und thematische" Freiheit bei dieser "Vorwintergeschichte", die in einem nicht lokalisierbaren Dorf mit einem Salzbergwerk spiele. Das Bergwerk sei ein "Symbolort" und biete dem Autor und der zentralen Liebesgeschichte einen vielschichtigen Bedeutungshintergrund, der auch Zeitphänomene wie Arbeitsemigration einschließe. Und dann sei da die "überwältigend einfache" Liebesgeschichte einer reisenden Sängerin mit dem Bergwerksingenieur. Sowohl die Sängerin als auch der Geliebte hätten traumatische Familienkonstellationen im Gepäck, und dennoch gelänge das unmögliche Glück der beiden und damit die Geschichte. Auch im ganzen Dorf kehrten nun die Lebenskräfte samt Träumen zurück und sogar ein verlorenes Kind. Rezensentin Ina Hartwig holt tief Luft und nennt die Erzählung "Kammeroper der Erlösung".
Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 08.02.2007
 
Jawohl, dieser Autor gehört zum "Trüppchen der anhaltend interessantesten Größen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur", verkündet Rezensentin Ursula März an die Adresse sämtlicher Zweifler, zu denen sie sich manchmal auch selber zählt. Denn bei diesem Roman handelt es sich ihrer Ansicht nach um ein atemberaubendes Epos und "strukturstarkes, szenisches Konzentrat", in dem Peter Handke mal wieder sein ganzes beeindruckendes Talent "zur sentimentalen Aufladung ontologischer Kindlichkeitsutopien" unter Beweis gestellt hat - ihre "christlichen Erlösungsszenarien" inklusive. Im Zentrum steht den Informationen der Rezensentin zufolge eine Sängerin, die am Ende einer Konzertreise an den Ort ihrer Kindheit reist, an dem sich auch ein Kaliwerk befindet. Besonders kann Handke die Rezensentin mit seinen Cross-over-Manövern begeistern, die von Beschreibungen des "hell leuchtenden Salzpalastes" im Innern des Bergwerks über Biografisches bis zu Uma Thurmans "Kill-Bill-Kämpferin" reiche. Am Ende zieht die Rezensentin den Hut vor diesem Autor und seinem "rätselhaften" Erzähler, der mit seiner "vieldeutigen Erzählordnung" in ihr das Feuer wahren Leseglücks zu entfachen vermochte.
 
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 05.02.2007
 
Dirk Knipphals hat sich fest vorgenommen, unvoreingenommen an die Lektüre des neuen Handke-Buchs heranzugehen, und so lässt er sich zunächst einmal ganz einfach in den Bann ziehen von der "Verklärung des Gewöhnlichen", die Handkes Bücher auszeichnet. Zu Anfang des Buches, in dem die Reise einer Sängerin in die Gegend ihrer Kindheit beschrieben wird, hat Rezensent Knipphals durchaus seine Freude an ausgesuchten Formulierungen und der sinnlichen Qualität der Handkeschen Beschreibungen. Allerdings hat dieses Vergnügen auch seinen Preis, räumt Knipphals ein. Dafür muss der Leser nämlich manche Umständlichkeit und bedeutungsschweres Raunen hinnehmen, zudem allerlei "Kulturkritisches", von dem der Rezensent vermutet, dass Handke darin seine Kritik an den Verhältnissen unterzubringen versucht. Also bis dahin, trotz einiger Störfaktoren, ist die Bilanz von Knipphals' Lektüre eigentlich recht positiv, wäre da nicht der Schluss von "Kali". Der sei einfach "schlimm" weil furchtbar kitschig und nun wünscht sich der Rezensent, er hätte das Buch nicht zu Ende gelesen.
 
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 03.02.2007
 
Als "hochgestimmtes Epos" mit Handlung beschreibt Rezensent Willi Winkler Peter Handkes neues Buch und schwebt im Ton so empfindsam zitierend und beschwingt rezensierend darüber hinweg, dass man annehmen muss: es hat ihm gefallen. Denn auch hier kann Handke wohl überzeugen, womit er seine Fans immer überzeugt: mit der Beschwörung und Verzauberung "gottverlassener, trostloser Gegenwartswelten" bei gleichzeitigem Ausdruck seiner Wut über ihre Niedrig- und Nichtigkeit. Wesentlicher Schauplatz ist Winkler zufolge ein Kaliwerk. Die Handlung erzählt die Geschichte eines Kindes, das vor zehn Jahren verloren ging. Handke beschreibt die Wahrnehmungen einer Frau, die mit der Suche beauftragt wird. Im Verlauf des Romans erkennt Winkler nicht nur die Früchte einer reichen Lektüre von Adalbert-Stifter-Romanen bis zu Freddy-Quinn-Liedern wieder, sondern auch viele Motive und Erkenntnisse aus früheren Handkebüchern, was das Buch für ihn auch zu einer Art "Alterswerk" macht
 
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.02.2007
 
Mit ätzender Kritik überzieht Hubert Spiegel die "Vorwintergeschichte" Peter Handkes, und das darin imaginiertre "Auenland" gleich dazu. Denn Spiegel vergleicht den imaginierten Ort, wo Handke die Handlung spielen lässt und wo Flüchtlinge des Dritten Weltkriegs zusammen leben, Salz abbauen und beten, mit Tolkiens heiler Hobbit-Welt im "Herr der Ringe". Dieses "Auenland" liegt nach Schätzungen des Rezensenten nun irgendwo in Europa, und er möchte darin "umkommen vor Langeweile". Keinerlei Überraschungen können Spiegel retten, die Geschichte um ein verlorenes Kind und eine Fremde, die sich auf die Suche nach ihm macht, läuft ab wie ein "schlechter Hollywoodfilm der fünfziger Jahre". Alles ei nicht nur vorhersehbar, sondern derart "abgedroschen", dass der Rezensent nur noch staunen kann, mit welcher "nachlässig aufgesetzten Einfachheit" Handke mittlerweile produziert. Erlösung kommt auch nach überstandener Lektüre nicht. Spiegel fürchtet nämlich, der Protagonistin im nächsten Werk wieder zu begegnen.
 
 
iele ließen sich von Peter Handkes Kali – Eine Vorwintergeschichte mit Recht verzaubern. Andere überzogen das Buch mit beißender Kritik. Zynikerzungen konnten sich der süffisanten Titulierung „sentimentale Betschwester“ nicht enthalten, was einerseits unsachlich auf den Autor abzielt, andererseits als Sprachkoketterie gesehen werden kann, nach dem Muster der Wort-Spielregeln, die Handke vorgibt.
 
Eine Sängerin, deren Gesang nur einmal zu hören ist, ein Dorf irgendwo im Vereinten Europa am Fuße eines Salzberges, eine Gemeinschaft von Bergbauarbeitern, in der Mehrzahl Auswanderer, ein Kind, das seit zehn Jahren verschwunden ist. Sie alle bilden die märchenhafte Topologie der Geschichte, die von einem Erzähler beobachtet und gesteuert wird. Dieser mutet wie eine Art moderner Frau Holle an, für die das Federkissen Schnee von gestern ist, weil sie sich lieber Google-Earth-artig in das Geschehen zoomt und es nach Bedarf beschleunigt oder anhält. Wenn im Buch auch nicht artikuliert, liegt der Vergleich des Erzählers mit Frau Holle dennoch nahe, denn die Fabulierlust des Autors schafft es locker, Alltagssituationen in die Märchenwelt aus Kindertagen zu entrücken.
 
Dazu benutzt Handke nur selten den direkten Weg – „Einmal lebte in diesem Haus ein Kind...“ Meist reichen Andeutungen aus, kleine Szenen, die uns ein Déjà-vu-Erlebnis bescheren, wie zum Beispiel ein gedeckter Tisch („Zwischen ihren Gedecken ein drittes, bereit wie schon seit geraumer Zeit“), der Wind, das himmlische Kind („Es ist der Wind, der spricht, der Schneewind“), oder Mary Poppins, wo Kinder in die Landschaft eines Bildes eintreten können, wie das verschwundene Kind der Bergarbeiter. Tief unten im Salzbergwerk bieten die Arbeiter der Sängerin von ihren mitgebrachten Stullen an. Da erinnern nicht nur das Bergwerk und die Männer an die sieben Zwerge, sondern Sätze wie „Und der, und der, und der hat ihr von seinem Essen angeboten“ auch an Schneewittchen selbst.
 
Erstaunlich bei allen überwiegend positiven Reaktionen zum neuen Buch Handkes ist die Hartnäckigkeit, mit der eine der Hauptfiguren der Geschichte unbesprochen bleibt: die Sprache. Schon auf den ersten Seiten stellt Handke einen Wegweiser auf. Dessen Pfeil zeigt zunächst in Richtung Kommunikation. Bei näherem Hinschauen erst wird klar, dass es die Kehrseite ist, die Unfähigkeit zur Mitteilung. Wenn auf Seite 24 die Sängerin plötzlich mitten in ihre Gedanken hinein stockt und den Redefluss durch Beugung eines Verbs unterbricht: „Du zitterst, er sie es zittert, wir zittern, sie zittern...“, stutzt man und versucht, sich zu entsinnen. Einige Seiten weiter, bei der Steigerung des Adjektivs „Heimatlos..., heimatloser, am heimatlosesten“, könnte die von Handke gelegte Spur den Leser zu Ionesco führen.
 
Die Kahle Sängerin, sie wurde als Anti-Stück bekannt und löste in den Fünfziger Jahren heftige Diskussionen über das zunehmende Unvermögen der sprachlichen Mitteilung und der im Gefolge erscheinenden Existenzängste aus. Bis heute wird das Paradestück des absurden Theaters gespielt, und so könnte es sein, dass die Lautverwandtschaft zwischen Kali, der Sängerin bei Handke, und der Kahlen Sängerin von Ionesco nicht nur rein zufällig ist.
 
Angst tritt auch bei Handke als Anfangssatz des Buches auf die Bühne: „Auch mir hat sie Angst gemacht, macht sie Angst. Aber ich möchte mich ihr stellen.“ Vielleicht ist Sie, der er sich stellen möchte, gerade die Frage, inwiefern Sprache ihren Grundauftrag im Vereinten Europa verloren hat? Langsam keimt der Verdacht, dass es Handke gar nicht auf eine durchgehend kohärent erzählte Geschichte ankommt. Er benutzt Figuren und Handlung als Sprachrohr seiner eigenen Botschaft. Und darin verblasst die Erzählung vom märchenhaft versunkenen Dorf am Fuße des Salzberges nach und nach und kristallisiert sich zum Träger Handkescher Zweifel und Befürchtungen.
 
Sätze, die nur noch teilweise sinnvoll sind, Töne, Klänge, ein Singsang aus Deklination und Deklamation ersetzen, wie bei Ionesco, das sinngebende Wort. Als wollten sich die Sprechenden vergewissern, sich durch Repetition der grammatischen Grundregeln das Gerüst zu bewahren, das ihnen Identität gibt, ihre Muttersprache.
 
Dialoge und Beschreibungen kehren sich gelegentlich in ihr Gegenteil um. Worte erreichen auch jene nicht mehr, die sie formen und werden zu Aneinanderreihungen von Wörtern: „Knall und Fall, Schreien, Toben, Bersten, Röcheln...“ Wiederholungen sind leere Hülsen, die man ausspuckt wie taube Sonnenblumenschalen: „Ich war bedürftig. Ich bin bedürftig. Ich werde bedürftig sein“ oder „Du hättest… sein müssen. Und warst es auch. Und bist es auch.“
 
Neben der Angst vor dem Schwinden sprachlicher Integrität und Identität, die bis zum Verlust eindeutiger geschlechtlicher Zuordnung in Zeiten allumfassender Nivellierung reicht – das verschwundene Kind heißt Andrea und kann Junge oder Mädchen sein, ähnlich wie bei Ionesco Bobby Watson der Name aller Familienmitglieder ist –, möchte Handke der Hoffnung eine kleine Tür offen lassen. Im Märchenland ist sowieso alles möglich. Es gilt aber, den Wegweiser in die richtige Richtung zu drehen. Der biblische Turmbau zu Babel hat ein Volk, das eine Sprache sprach, verwirrt und über die ganze Erde verstreut. Umgekehrt bringt Globalisierung Menschen verschiedenster Herkunft und Sprachen zusammen. Es sollte möglich sein, diese, die „fremder als fremd waren, umso besser und klarer zu verstehen.“ Um uns aber auch jenseits mythischer Gefilde und Zeiten heute die Bewahrung der Sprache als Ausdruck unserer Gedanken und Gefühle zu ermöglichen, suggeriert Handke im Sinne von Forel's Ideoplasie-Gedanken wiederholt: „Und da es gesagt ist, hat es zu geschehen.“ Und mit leisem Zweifel fügt er hinzu: „Vorläufig.“
http://www.poetenladen.de/dgilde-peter-handke-kali.htm
dorothea gilde
 
 
Peter Handkes neue Erzählung handelt vom Verlieren und Finden. Die Hauptperson der Vorwintergeschichte - so bezeichnet Handke den Text selbst - ist eine namenlose Frau. Wir erfahren wenig über sie. Musikerin ist sie, wahrscheinlich Sängerin. Vor allem ist sie eine geborene Finderin.
 
Im Laufe der Geschichte findet sie einen Ring, eine Kontaktlinse, ein tagelang verschwundenes Kind und einen Mann, der nach dem Tod seiner Frau jahrelang auf eine neue Liebe gewartet hat. Vielleicht heißt diese Frau Kali, dann wäre es die hinduistische Göttin des Todes, der Zerstörung und der Erneuerung. Darauf deutet der erste Satz der Erzählung hin: "Auch mir hat sie Angst gemacht, macht sie Angst." Kali, das steht aber auch für den Salzberg, um den herum sich die Geschichte abspielt.
 
Die Gegend um den Salzberg ist nicht von dieser Welt, kein Ort, den man zu Fuß oder mit dem Auto erreichen kann. Es ist ein mythischer Raum, in dem es den Fluss, den Berg und den Wald gibt, das Dorf und die Stadt. Auch so etwas wie eine äußere Handlung fehlt fast völlig, wer nach einem logisch ablaufenden Geschehen wie zum Beispiel in einem Krimi sucht, sollte auf Bücher von Handke eher verzichten. Die Frau in Kali tut, was Handkes Figuren meistens tun: Sie reist. Die äußere Bewegung als Symbol der inneren. Das eigentliche Geschehen findet in den Personen selbst statt.
 
Biblischer Ton
 
Peter HandkeBildunterschrift: Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift:  Peter Handke (Archivbild)
 
Innere Handlung in einem mythischen Raum, das ergibt reine Poesie. Schon vor mehr als zwei Jahrzehnten hatte Handke sich als Bewohner des Elfenbeinturms geoutet. Alles ist voller Bedeutung. Da ist der weiße Salzberg. Um ihn herum wohnen Auswanderer, Menschen, die ihre Heimat verloren haben, und nun auf der Suche nach einer neuen sind. Die Frau findet ein verbranntes Buch in dem sie liest, es ist die Geschichte von Lancelot, auch der war lebenslang auf der Suche  - nach dem Heiligen Gral.
 
Geschrieben ist das alles in einem ernsten, fast biblischen Ton, der bewusst versucht, jeden Anklang an die Alltagssprache zu vermeiden. Dabei ist der formale Aufbau des Buches erstaunlich modern. Kali ist angelegt wie ein Drehbuch. Szene, Schnitt, Szene.
 
Typischer Handke-Sound
 
Handke schreibt an gegen die Entzauberung der Welt durch Technik, Vernunft, bloßes Denken in Zweck-Nutzen Kategorien. Dagegen gibt es in Kali wütende Predigten. Verloren die Verzauberung, das Träumen, die Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat. All das versucht Handke im Schreiben wiederzufinden. Deshalb der hohe Ton, die ganz großen Gefühle. Wenn der Mann und die Frau sich finden, dann ist ganz klar, dass ihre Liebe zugleich ihr Tod ist. Aber man muss so schreiben, um zu bewahren, was schon so lange verloren ist. "Um das Wiedergefundene muß erst recht gezittert werden", heißt es in Kali, wenn es zum zweiten Mal verloren geht, ist es endgültig verloren.
 
Man kann diesen typischen Handke-Sound von Kali lieben - oder man kann ihn hassen. Eins ist sicher, kalt lässt einen ein Buch wie Kali nicht. Das ist mehr, als die meisten Bücher zu leisten imstande sind.
 
 
Udo Marquard
http://www.dw-world.de/dw/article/0,2144,2392892,00.html


"Handke contrives simultaneously to evoke a sense both of descriptive precision (through his eye for detail) and of enigmatic uncertainty (through his use of narrative questions, through what he does not say)." - Ben Hutchinson, Times Literary Supplement 
 
"Wie bei seinem  Don Juan, als er die mythologische Figur nach seinem inneren Bildnis umformte, ist dem Traumrealisten Handke abermals ein veritables Kunststück geglückt: Er hat den mittelalterlichen Lancelot-Roman, den "roman de la quête" vom ewig Suchenden, ins Heute übertragen. Mit all seiner Unbedingtheit der Leidenschaften und seiner archaischen Abstraktheit. Wer es fassen kann, der fasse es, würde die Pastorin sagen." - Ulrich Weinzierl, Die Welt 
 
The complete review's Review:
 
       Kali is anything but straightforward, though there is a progression of sorts, as the narrative follows a singer on a strange trip home (or near home, or somewhere, anyway ...) after the last concert of the season. There is a peculiar omniscient narrator, who follows her trail and records what happens, but we are definitely in Handke-land here, where people don't much interact as in real-life and among whom pontification seems to have largely replaced conversation -- a world of literally and emphatically mythic proportions.
       The narrator is oddly obsessed with the singer, and remains at a remove from her. The account even begins with trepidation:
 
    Auch mir hat sie Angst gemacht, macht sie Angst. Aber ich möchte mich ihr stellen.
 
    [She scared even me, scares me. But I want to confront it.] 
 
       It's all ambiguity: does the narrator fear her or the story he is relating ? Is he hoping to come to terms with his fears or with the singer or this story ?
       Part of dealing with it is in telling it, and Handke does convey that attempt to impose some shape on formlessness, to let his 'story' coalesce as if almost on its own into a narrative. But, again, that doesn't make for a very conventional tale.
       Kali is an odyssey, and it takes on a mythical feel. Asked where she is going to spend the winter, the singer tries to explain (no one explains things unambiguously in Kali ...):
 
    In meine Kindergegend. Oder nein, in der Nachbargegend. [...] In der Gegend hinter meiner Gegend.
 
    [In my childhood-parts. Or, no, in the neighbouring parts. [...] In the parts behind my parts.] 
 
       It's a place she, who has been everywhere, hasn't been. And the only special thing about those parts ? Lots of salt (yes: kali) and salt-mining. No surprise then that her journey leads her deep down into the salt-mines eventually.
       A woman priest she encounters complains of the new generation, and a world in which everything is reduced to nonsense (literally: "Unsinn"), as she is able just to hold onto sense in her own four walls and among her books. Is it Handke complaining about the incomprehension he faces ? At times it sounds that way ... yet his simple solutions are the most fanciful dreams -- as when at the salt-mines the singer is told that the deep mines are like a reverse Tower of Babel, the lower down the workers go, the more readily they understand each other. At least: "vorläufig" ('preliminarily').
       What communication Handke offers seems both deep and airy. There are few exchanges, and most speak in statements -- both absolute and ambiguous. So also a command into the air, "Laß eine Feder fallen, Falke" ('Let a feather fall, falcon'), is enough to send a feather wafting down .....
       This is a world of timelessness, too -- even more emphatically underground, where at one point the journey continues: "Gegen Abend, oder gegen Morgen, oder gegen Mitternacht" ('Towards evening, or towards morning, or towards midnight' -- whereby the German gegen also means against, as Handke doesn't seem willing to miss an opportunity to add a sense of (if not outright) ambiguity -- pity the poor translator !).
       Near the end someone accuses or diagnoses the singer of being a "geborene Finderin" (a 'born finder' -- and, as one of the few prominent plot-points is a missing child, a particularly valuable ability) and asks her how she does it. She offers some tips, in a scene where Handke barely seems able to contain himself (and hide his authorial presence): don't stand still when looking, don't look where you think you lost what you are looking for, look elsewhere (even to the sky ...), etc. She insists:
 
    Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm ? Weit vom Stamm fallen manche Äpfel. Weit. So weit.
 
    [The apple doesn't fall far from the tree ? Some apples fall far from the tree. Far. So far] 
 
       Of course, it's easy for an author to remind dull readers that if they don't get it maybe they aren't looking in the right places; certainly, this is a book in which Handke feels under no obligation to drop his clues in a convenient trail in front of his readers' noses, page after page. It makes for an often frustrating text, its mytho-poetic appeal almost willfully undermined. But then it is also a sort of preamble, a journey of collection that will only lead to story-telling -- and "Zur&uumlck zur Prosa" ('Back to prose') -- but doesn't offer it itself (or offers only a rudimentary version, a flailing not so much for the proper words (though there's some of that too) but for narrative itself).
       An odd book, and hardly entirely satisfactory -- but then part of Handke's appeal is his refusal to make it easy (and the facility with which he plays his games). In a portion of this size, even Handke at his most exasperating (as he occasionally is here) is, at least, manageable.
 
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http://www.complete-review.com/reviews/handkep/kali.htm
 
Handke: Kali
Von Uwe Schütte
 
Aufzählung In seinem neuem Buch "Kali" setzt Peter Handke das unbeschreibbare Glück des Wiederfindens in Szene.
 
Nein, zu verübeln ist
 
es niemandem, dass man ein neues Buch von Peter Handke zumeist mit dem Gefühl von Vorsicht und Vorurteil aufschlägt. Warum das so ist, braucht hier nicht ausgeführt zu werden, weil Handke seine (potentielle) Leserschaft in den letzten zwei Jahrzehnten so stark polarisiert hat, dass die eine (wohl größere) Gruppe seine Romane ignoriert und selbst durch enthusiastische Rezensionen kaum umzustimmen ist, während die andere, kleinere Gruppe der eher hartnäckigen Handke-(Weiter-)Leser ohnehin genau weiß, was gemeint ist.
 
Festzuhalten ist, dass sein neues Opus "Kali" kein Roman vom Umfang der Kategorie "Niemandsbucht" (1994) oder "Bildverlust" (2002) ist, und mit seinen etwas über 150 großräumig bedruckten Seiten zumindest rein äußerlich nicht allzu abschreckend wirkt. Dementsprechend wird diese "Vorwintergeschichte", so steht zu hoffen, ein paar Zögerliche dazu verführen, Handke wieder einmal eine Chance zu geben. Verdient hat er es. Durchgelesen ist das Buch recht zügig in zwei Stunden, doch eine einmalige Lektüre reicht natürlich nicht aus, das poetische Dickicht der Geschichte angemessen zu durchschauen.
 
Und beim zweiten Durchgang wird einiges klarer, vieles stimmiger und manches überzeugender, was bei oberflächlicher Betrachtung doch zu sehr nach Pathos-Overload aussah.
 
Der Plot ist schnell nacherzählt: Eine Sängerin begibt sich auf der Suche nach dem ihr vom Schicksal vorbestimmten Mann in eine abgelegene Gegend, den "Toten Winkel", in der eine abgeschiedene Gemeinschaft lebt, die sich aus Flüchtlingen und anderen Außenseitern zusammensetzt. Die Gegend wird dominiert von einem gigantischen Salzberg, denn die Menschen arbeiten fast alle in einem Kali-Bergwerk.
 
Beherrscht wird das Leben in dieser extraterritorialen Zone nicht von profanen Tätigkeiten wie bei uns, vielmehr richtet es sich an spirituellen Zielen aus, so dass jede alltägliche Verrichtung eine Form des Gebets darstellt. Kein Wunder also, dass der Fortbestand dieser archaisch-elitären Gemeinschaft gefährdet ist, was durch den Umstand ausgedrückt wird, dass ein Mangel an Nachkommen herrscht und zudem die wenigen Kinder der Gemeinschaft fast alle auf mysteriöse Weise verloren gehen.
 
Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch: In einem recht pathosbeladenen "happy end" findet die Sängerin nicht nur das zuletzt verschollene Kind, sondern trifft auch auf den ihr vorbestimmten Mann.
 
Dass Literatur nur dann Relevanz hat, wenn sie beispielsweise davon erzählt, wie jemand in eine Großstadt im Ausland zieht und dort sein Leben aus neuer Perspektive erlebt oder vorführt, was die prekarisierte Boheme im Berlin des frühen 21. Jahrhunderts so treibt, ist eine Ansicht, die den ästhetischen Wert am neoliberalen Kriterium der Applizierbarkeit von Kunst festmacht. Und zudem falsch denkt. Denn nach London oder auf den Prenzlauer Berg können wir ja selber ziehen, wenn uns das dortige Leben interessiert. Und was man dort aus eigener Anschauung erlebt, ist ohnehin interessanter als die frommen Herzergießungen "junger Literatur".
 
Das unzugängliche Land im Toten Winkel aber, das es in Kali zu besichtigen gibt, lässt sich nur an der Hand eines ausgewiesenen Erzählers wie Handke betreten, der sich nicht scheut, eine Literatur jenseits vorgefertigter Erwartungen zu schreiben, die den tonangebenden Kritikern deutscher Zeitungen ja allein schon deshalb missfällt, weil sie Handkes politische Ansichten nicht teilen.
 
Wer sich aber von der anfänglichen Sperrigkeit der Handkeschen Prosa und der höhnischen Gegenpropaganda des Feuilletons nicht abschrecken lässt, wird in "Kali" ein Buch finden, das zwar an einen ganz großen Wurf wie etwa "Die Wiederholung" (1986) nicht heranreicht, dennoch aber viel zu bieten hat. In erster Linie die literarische Vision einer eigensinnigen Wortkunst, die den romantischen Topos des Bergbaus als Metapher für die Erforschung des Unterbewusstseins mit der Gestalt der indischen Göttin Kali verbindet, strukturell basierend auf dem mittelalterlichen Heldenepos des "Lancelot" von Chrétien de Troyes, ohne jedoch auf widerborstige Elemente wie Zitate aus den Liedern des großen Populärmusikers Freddy Quinn zu verzichten.
 
Zusammen ergibt das eine Erlösungsphantasie, die angetrieben wird von der Sehnsucht nach Überwindung der Vereinzelung, in welche die moderne Gesellschaft das Individuum treibt. "Kali" – diese utopische Erzählung vom erwählten und zugleich bedrohten Volk der Heimatlosen, Versprengten und Entrechteten im Modus des Traumrealismus – errichtet ein poetisches Gegenmodell zur Entsolidarisierung unserer Gesellschaft und redet lieber vom Beten als von Marktgesetzen, Klimakatastrophe oder Multimedia. Was Handke in seiner poetischen Bußpredigt vom Salzberg dabei unter anderem in Szene setzt, ist das unbeschreibbare Glück des Wiederfindens, das wohl nur jene verstehen können, die etwas Unersetzliches verloren haben.
 
Die Hindu-Göttin Kali ist, wie alles Heilige, eine ambivalente Gestalt, die in der indischen Mythologie für Gefahr und Chance, für Vernichtung und Neubeginn steht. Deswegen ist es auch nur angemessen, dass die Erfahrung einer poetischen Gegenwelt bei Peter Handke nie anders zu haben ist als um den Preis eines prononcierten Pathos.
 
Peter Handke: Kali. Eine Vorwintergeschichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2007, 158 Seiten, 17,30 Euro. 
 
http://www.wienerzeitung.at/DesktopDefault.aspx?TabID=3948&Alias=wzo&cob=270659
 
Während der Lektüre überlegte ich manchmal: Gefällt mir das Buch oder gefällt es mir nicht? Für beide Urteile gäbe es gute Argumente. Ich wollte weiterlesen, denn Handke bietet in jedem Satz Neues, oft Überraschendes. Daher: Ja, Kali ist anregend, aufregend und gut.
Eine Sängerin begibt sich nach Abschluss ihrer Tournee auf eine private Reise. Diese Reise wird von einem distanzierten Ich-Erzähler aus der Ferne beobachtet. Das bewirkt, dass er sie manchmal aus den Augen verliert, sie nur schemenhaft sieht. Alles wird in Frage gestellt, ist bezweifelbar. Zunächst fährt sie in die Gegend ihrer Kindheit, wohl irgendwo in Europa, eine "Auswanderer-Gegend" (S. 30; vergleiche: Winfried G. Sebald: Die Ausgewanderten, Handke Links). Handke erwähnt die Pyrenäen und Alpen (S. 34). Nachdem sie ihre Mutter besucht hat überquert sie mit einem Schiff einen See (oder ist es ein Meer?) und erreicht das Gebiet »Toter Winkel« um ein Kalibergwerk. Hier befinden sich mitten im Vereinten Europa, Auswanderer, Gestrandete und Heimatlose. Dort wurden schon seit mehreren Jahre keine Kinder mehr geboren, dafür verschwinden welche. Die Sängerin hat sich inzwischen als Finderin erwiesen.
• Hinter der Bühne fand sie etwas "Entfallenes, einen Knopf? eine Münze?" (S. 9).
• Sie findet ein Buch (S. 25), das sich als Chrétien de Troyes: Lancelot (Handke Assoziationen) erweist.
• Eine Gruppe von Frauen sucht einen verlorenen Ring. Die Sängerin fischt ihn aus dem Schotter (S. 41) und ermahnt: "Alles, was verloren und endlich doch wiedergefunden wurde, ist in Gefahr, ein zweites Mal verloren zu gehen, und zwar gleich. Und das, was dann in zweites Mal verloren geht, ist nimmermehr wiederzufinden" (S. 42; siehe Anmerkungen dazu unter Stil).
• Ihre Mutter verliert die Kontaktlinsen. Die Sängerin benötigt nur einen Augenblick um sie zu finden (S. 53).
Nebenbei: Verloren wird noch an vielen Stellen in Kali.
Die Sängerin ist daher gut geeignet bei der Suche nach Andreja oder Andrea mitzuhelfen (S. 83; S. 135). 
Das vermengt Handke zu einem fulminanten, mythischen Schluß. Zuvor aber lässt er eine Pastorin noch der Menschheit die Leviten lesen: "Nur noch Gesindel seid ihr auf Gottes Erde, Desperados. Vernichtet gehört ihr. Weg mit euch" (S. 156).
Stil
Handke schreibt in anstrengendem Stil. Der Leser muss mitdenken. Das zeigt sich schon beim Einstieg: "Auch mir hat sie Angst gemacht, macht sie Angst. Aber ich möchte mich ihr stellen" (S. 7). Mysteriös ist das Subjekt "sie" und das "ihr" im zweiten Satz. Man stellt sich üblicherweise einer Stimmung oder einem Gefühl, hier also der Angst. Grammatikalisch müßte es aber das Subjekt aus dem ersten Satz sein.  Erst auf der nächsten Seite wird die Musikantin (Sängerin, Ruferin; S. 8) genannt. Alle Personen bleiben aber namenslos.
So muß der Autor neue Namen und Begriffe erfinden. Er tut es reichlich und bereichernd: "Toter Winkel" als Name der Gegend um das Bergwerk; "Salzkathedrale" und "Salzdom" für das ins Innere der Erde reichende Kalibergwerk. Dabei stellt er gleich die Dinge buchstäblich auf den Kopf. Eine Kathedrale oder ein Dom strebt aufwärts, himmelwärts.
Auffallend sind Handkes theatermässige - drehbuchartige Anweisungen. Beispiel: "Das Salzbergwerk und die Siedlung im Frühmorgenlicht" (S. 105).
Oft lässt Handke scheinbare Weisheiten einfliessen, die sich näherem Hinsehen als Krampf (ich schwäche ab: Halluzination; Wunschdenken) erweisen. Sie tragen aber zur märchenhaften Stimmung des Textes bei (siehe das oben Zitierte zum 2. Mal verlieren). Das verstärkt der Autor durch nur in Märchen gebräuchliche Wort, wie "nimmermehr" (im gerade erwähnten Zitat; S. 42).
Zum Märchenhaften paart sich ein lyrischer Ton, wie bei der Suchaufforderung durch die Mutter: "Finde mir die Kontaktlinse, die mir vorhin ausgefallen ist, dort in dem Flausch" (S. 53).
Die gesamte Handlung und Fahrt erhält auch einen mythischen Anstrich durch Stil, Geschehen und Anspielungen. Der mythische Charakter der Erzählung wird durch die apokalyptische Stimmung betont. Dazu charakterisiert der "Grubenherr" die Flüchtlinge, die im Toten Winkel des Kalibergwerks leben: "Sie sind auf Dauer unter Schock. Sind, ein jeder für sich, in diese Landschaft gestolpert und gepurzelt wie auf offenem Meer von einem Schiff gestoßen und dabei fast ertrunken. Und der Schock weicht nicht. Sie sind auf ewig Schiffbrüchige, ..." (S. 110). Eine zeitkritische Analyse der heutigen Flüchtlingssituation. Der Grubenherr weiter: "Manchmal scheint mir, sie sind die Überlebenden des Dritten Weltkriegs, der rund um uns schon seit langem wütet, unerklärt, wenig sichtbar, aber umso böser" (S. 111). Auch das ein bitterer Vorwurf an die derzeitige Weltsituation. Bemerkenswert wieder, dass es dem Grubenherr nur so scheint, obwohl man ja annehmen kann, dass jeder Mensch den Dritten Weltkrieg mitbekommen würde. Dieses Thema ging der Pulitzerpreisträger Cormac McCarthy in Die Straße [The Road] noch sehr viel düsterer an (Handke Links).
Meine erste Begegnung mit einem Text von Peter Handke fiel so aus, wie ich es nach den konträren Stellungnahmen zu Handkebüchern und seiner politischen Haltung erwartete: zwiespältig. Ich kann durchaus verstehen, dass manche Kali als Gefasel ablehnen. Wenn man sich darauf einlässt ist Handke-Land wie eine Welt von J.R.R. Tolkien (habe ich nie gelesen) und man kann es ausschlachten wie einen Tintenklecks im Rorschachtest. Man kann die enthaltene Zeit- und Gesellschaftskritik als überbordend ansehen. Dank Handkes Kunst ist sie aber nie platt und holzhammerartig. Dafür sorgen die surrealen Elemente (man möge nur mal zählen, wie oft Lichter in den Häusern angehen, nur im ersten Stock funzeln usw.)
Mich zog die Erzählung in ihren Bann und je mehr ich darüber nachdenke, desto lohnenswerter scheint mir die Lektüre.
Sehr empfehlenswert für alle Leser, die bereit sind ihre Synapsen auf Empfang zu stellen.
Assoziationen
Der Autor zieht einige Register an Bezugnahme und Anleihen bei anderen.
Schon mit dem Titel stellt er sich in eine Reihe mit dem Österreicher Adalbert Stifter und schreibt ein Kapitel zu seinem Erzählband Bunte Steine (Handke Links).
Novalis wurde trotz abgeschlossenem Jurastudium 1795 Akzessist an der Salinendirektion in Weißenfels an der Saale. 1797 begann Novalis das Studium an der Bergakademie in Freiberg. 1799 wurde er dort zum Salinenassessor und Mitglied des Salinendirektoriums ernannt.
Mit der Romantik und der Suche nach der Blauen Blume hat Kali
• das Suchmotiv gemein. Vieles wird verloren und wiedergefunden, sogar ein Kind.
• die Bergwerkmetapher gemeinsam, siehe das Bergwerkmotiv in Novalis: Heinrich von Ofterdingen und in E.T.A. Hoffmann: Die Bergwerke zu Falun (Handke Links).
Die ausführlich beschriebene Begehung und Fahrt im Bergwerk erinnert an Dante: La Divina Commedia – Göttliche Komödie.
Etwas gesucht ist meine Assoziation: Kali - Sängerin, "Die kahle Sängerin", Eugène Ionesos Einakter "La cantratice chauve".
Kali
Wikipedia führt sieben verschiedene Bedeutungen auf: HandkeKali kann stehen für. Relevant erscheinen mir:
• Salzmineralien mit einem hohen Gehalt an Kaliumverbindungen (Handke Links)
• Göttin im Hinduismus; des Todes, der Zerstörung und der Erneuerung (Handke Links)
• geografische Orte, wie ein Dorf in Kroatien (Handke Links) und ein Fluß in Indien.
Chrétien de Troyes: Lancelot
Im Fernzug blättert die Sängerin im gefundenen, stark angekohlten Buch und stößt auf die Überschrift »Un pays dont nul ne revient«. Das Buch ist Chrétien de Troyes: Lancelot und Handke lässt sie freundlicherweise übersetzen: "Ein Land, aus welchem keiner wiederkehrt" (S. 36). Das soll auch ihrer Reise beschieden sein.
Freddy Quinn: "Heimweh" (1956)
Die in Rezensionen genannte Bezugnahme auf John Lennon fiel mir nicht auf, dafür die auf Freddy Quinn: "Heimweh". Ein Riesenhit für ihn und schon zuvor für Dean Martin: "Memories Are Made of This" (1956); original von den Easy Riders (Terry Gilkyson, Richard Dehr, Frank Miller).
Hier die Textpassage aus "Heimweh" von den Textern Ernst Bader und Dieter Rasch:
 
    Brennend heißer Wüstensand,
       (So schön, schön war die Zeit)
       (So schön, schön war die Zeit)
    fern, so fern dem Heimatland.
 
Peter Handke zitiert nur die beiden Zeilen des Solisten und verändert in:
"so fern vom Heimatland" (S. 26-27).
Links
Rezensionen
HandkeHelmut Böttiger: "Die große Sehnsucht. Buch der Woche: »Kali. Eine Vorwintergeschichte« von Peter Handke", DLF Büchermarkt, 11.2.2007
HandkeIna Hartwig: "Der Salzherr und die Sängerin", Frankfurter Rundschau, 14.2.2007
HandkeDirk Knipphals: "Einsam mit Handke", taz, 5.2.2007
HandkeLyrikwelt (5 Rezensionen)
HandkeUrsula März: "Eine, die auszog, die anderen zu finden", Die Zeit, 8.2.2007
HandkePerlentaucher
HandkeChristoph Pollmann: "Die Angst des Kritikers vorm Handke-Peter", Titel Magazin
HandkeIrmgard Schmidmaier: "Eine Reise ins Innere der Welt", Stuttgarter Nachrichten 6.2.2007
HandkeUwe Schütte: "Poetische Predigt vom Salzberg", Wiener Zeitung, 16.2.2007
HandkeHubert Spiegel: "Überall ist Auenland", FAZ, 2.2.2007
HandkeFabian Thomas: "Aufbruch in den Toten Winkel", Kritische Ausgabe 8.5.2007
HandkeKristina Tirier, Bettina von Pfeil: "Die Rettung des Glücks in der Kindergegend", 3sat, 25.4.2007
Willi Winkler: "Das ist kein Säuseln des Windes, das ist das Säuseln der Hölle", SZ, 3.2.2007, online bei Handkebuecher.de
Vergleichsliteratur
Handke E.T.A. Hoffmann: Die Bergwerke zu Falun
Handke Cormac McCarthy: Die Straße [The Road]
Handke W. G. Sebald: Die Ausgewanderten. Vier lange Erzählungen
Handke Adalbert Stifter: Bunte Steine
Peter Handke: Handkepeterhandke.at – HandkeWikipedia
HandkeHandke: Scriptmania
HandkeBernd Reinhardt: "Der Schriftsteller Peter Handke, die öffentliche Meinung und der Krieg in Jugoslawien", 22. Juli 1999
Handke Peter Handke: weitere Literatur
Kali: HandkeKaliumverbindungen – HandkeGöttin – HandkeFischerdorf in Kroatien
Handke Peter Handke: Der kurze Brief zum langen Abschied
Literatur
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handke               Handke Peter Handke: Kali. Eine Vorwintergeschichte. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2007. Broschiert, 152 Seiten
 
Die Angst des Kritikers vorm Handke-Peter
 
"Ich habe im vergangenen Sommer eine Geschichte geschrieben, die von einem vermissten Kind handelt. Es heißt Andrea, so dass man nicht genau weiß, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist. Ich habe eine Meisterin im Wiederfinden erfunden, so eine, die geholt wird, wenn einem die Kontaktlinse in den Kies fällt."
 
Hand aus der Hose, ist das nicht saukomisch? Also, wer hier nicht lacht, der ist (betriebs-)blind. Hege Schneider de luxe, mit toller Poetentolle und rotweinroter Zunge! Aber es gibt tatsächlich noch ein paar Kathedergrößen der Kritik, die karnickelgleich vor dieser österreichischen Schlange erstarren und – egal was sie zischelt – wie aus Reflex ihre altbewährten Sprüchlein aufsagen.
 
Ursula März beispielsweise ist eine echte Sich-nicht-mehr-Einkriegerin! Peter Handke, so verlautbart sie in der ZEIT, gehört zu einem einsamen „Trüppchen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur“, „ein rätselhafter Erzähler“, der mit seiner "vieldeutigen Erzählordnung" das Feuer wahren Leseglücks in ihr zu entfachen vermag. Kali sei ein "strukturstarkes, szenisches Konzentrat", eine sentimentale Aufladung o¬ntologischer Kindlichkeitsutopien“ samt ihrer "christlichen Erlösungsszenarien". Oh Ursula von Berlin, du Mystikerin der Neuerscheinungen, da hast du dir aber einen eitlen Götzen ausersehen! Siehst du deinen St. Peter, den großen Märtyrer des Literaturbetriebs, denn gar nicht feixen? Aber vermutlich geht das schlecht, wenn man auf Knien, gesenkten Hauptes...
 
Dichtkunst – das Starterset
 
Oh ja, es wird in Kali ordentlich poetisch, wenn auch zumeist auf Kartoffeldruck-Niveau, denn schon im Titel beginnen die quälenden Komposita, die Kalliope (Handkes Lieblingsmuse) so schamlos anzuheulen trachten. Und Komposita sind ganz empfindliche Gewächse - sie blühen selten auf. Wenn, dann ist es ein Ereignis, das eine ganze Lektüre zu überduften vermag. Wenn nicht, dann wird’s ganz schön muffig im Kartoffelkeller...
 
Besehen wir uns in Kali mal eine Reihe handkescher Schöpfungen: der Salzherr, der Grubenherr, die große Finderin, das Salzdomknistern, die Hügelkuppenwiese (sic!), die Beinahmenschenleere, die Schneenacht, der Schneewind, die Windnacht, der Nachtmahltisch, (das Zubettgehbett?), der Speisenaufträger, die Kaufdinge (P. H. ein  romantischer Sozialist?). Das Bild, das sich hier abzeichnet ist deutlich: Die Gebrüder Grimm schreiben Drehbücher für Fassbinder... – unappetitlich.
 
Die Handlung der „Vorwintergeschichte“: Nach Abschluss ihrer Tournee reist eine Sängerin "in die Gegend gleich nebenan, hinter dem Kindheitsfluss. Dort ist der Winter noch Winter.“ Ein Kind ging vor zehn Jahren verloren und die Sängerin wird mit der Suche beauftragt.
 
Garantiert ohne Zusatzstoffe
 
Das alles kennen wir schon von Prinz Kräuselbart. Das ist kein „Alterswerk“, wie der SZ-Rezensent Willi Winkler verlautbart, das ist schon lange Vorgekautes. Das ästhetische Verfahren: Vermengen der Gattungen, der Genre, der modernen Mythen mit den herkömmlichen – 100% Handke! Mit ätzender Kritik überzieht Hubert Spiegel dann auch diese Geschichte und das darin ersonnene "Auenland". Er vergleicht diesen Ort mit Tolkiens grundheiler Hobbit-Welt, in der er "umkommen möchte vor Langeweile". Die Geschichte laufe ab wie ein "schlechter Hollywoodfilm der fünfziger Jahre". Alles sei nicht nur vorhersehbar, sondern derart "abgedroschen", dass man nur noch staunen kann, mit welcher "nachlässig aufgesetzten Einfachheit" Handke mittlerweile produziert.
 
Also langweilig, Herr Spiegel, ist Handkes Neuling auf keinen Fall! Kali ist zum Einen zu kurz, als dass Langeweile überhaupt aufkommen könnte, zum Anderen ist es ein poetelndes Amüsement ohnegleichen, bei dem man immer hofft, dass es der österreichische Künstler auch so gemeint hat, wie man es liest. Wenn nicht, dann „bäh“ - aber keinesfalls „gähn“.
 
Und jetzt mal ehrlich: Der Salzdom ist schon ein dankbares Symbol, nicht? Eine Kirche unter der Erde, ein weißes, umgestülptes Babel, ein Elfenbeinturm ausgerichtet auf den Erdmittelpunkt, das Salz der Erde, in dem man wohnt... – man könnte ewig weiterassoziieren. Und dann ist Kali nicht nur der Kurzname für Kaliumsalze, sondern praktischerweise auch der Name der indischen Göttin der Vernichtung, die gleichzeitig auch Mutter der Erneuerung ist. Wie passend. Solche poetischen Komplexe schnüffelt sich ein Dichter aus, das riecht der sofort, dass da literarisch was geht, es ist schließlich sein Handwerk. Und Handke wäre nicht Handke, würde er diese Riesenmetapher nicht nach allen Regeln der Kunst vor unser aller Leseraugen tranchieren. Und keine Angst, es kriegt wirklich jeder sein Stückchen Poesie. Doch ob man davon satt wird?
 
Christoph Pollmann
 
http://www.titel-magazin.de/modules.php?op=modload&name=News&file=article&sid=5437
 
Kali von Peter Handke, 2007, Suhrkamp1.) - 5.)
 
Kali.
Roman von Peter Handke (2007, Suhrkamp)
Besprechung von Ursula März aus DIE ZEIT, 8.2.2007:
 
Eine, die auszog, die anderen zu finden
Peter Handkes »Kali« ist ein atemberaubendes Epos über Aufbruch, Verlust, Suche und Heimkehr.
 
Eine Erzählung, die zum einen von einer vollständig versammelten Familie ausgeht, deren Mitglieder sich zum anderen nicht vom Fleck bewegen - diese Erzählung wäre nicht von Peter Handke. Seine Bücher berücksichtigen, egal in welcher Variation, egal welcher Gattung sie angehören und in welcher Arbeitsphase er sie verfasste, das zyklische Urmuster des abendländischen Epos: also Aufbruch und Reise, Fahrt und Wanderung, wenn es gut geht, Rück- oder Heimkehr, die auf das Motiv der Versöhnung, der Identitätsbildung oder zumindest der Erkenntnis hinauslaufen. Die Reise wiederum stellt sich mit Vorliebe als Suche dar. Ein guter Schwung von Handkes Büchern bewegt sich um die Leerstelle einer abhandengekommenen, verschollenen Person - Vater, Bruder, Geliebte -, die, wenn es gut geht, am Ende wieder auftaucht oder endgültig verabschiedet werden kann.
 
Peter Handkes neues Buch, Kali. Eine Vorwintergeschichte, macht von dieser Tradition des Werks keine Ausnahme. Man könnte sagen: Im Gegenteil, Handke erzählt das vertraute Gleichnis von Abmarsch, Abenteuer, Ankunft regelrecht forciert aufs Prinzipielle des epischen Musters hin. Als strukturstarkes, szenisches Konzentrat, auf der Tagtraumbühne einer irrealisierten, mythisierten Topografie (deren reales Vorbild an Salzburg, das Salzkammergut, den Mondsee denken lässt). Folgendes spielt sich, äußerlich berichtet, hier nun ab: Eine Sängerin verlässt am Ende einer Tournee die Bühne, fährt zum Hotel, verlässt am nächsten Tag die Stadt, benutzt Zug und Bus, um durch vorstädtische Peripherie immer weiter in die Landschaft bis zum Heimatort ihrer Kindheit zu gelangen. Nach einer kurzen Station bei der Mutter, ebenfalls eine ehemalige Bühnenberühmtheit, überquert die Reisende per Schiff einen See und erreicht das räumliche Ziel der Reise: Ein »Toter Winkel« genanntes Gebiet, das vom salzweißen Rücken eines Berges überragt wird, unter dem sich ein Salzbergwerk befindet. Dieses Gebiet nun ist eine Art Enklave »mitten im Vereinten Europa«, in die sich Auswanderer verschiedenster Sprache und Herkunft, Versprengte und Gestrandete, Außenseiter und Heimatlose geflüchtet haben. Ein aus der Gesellschaft gelöster Trupp Menschen, die eine kleine Gegengesellschaft bilden. Auch dieses Motiv gibt es bei Handke spätestens seit Falsche Bewegung, also seit gut drei Jahrzehnten.
 
Aus der Mitte der Auswanderer aber ist, was Suchplakate der vagabundierenden Sängerin auf ihrem Weg schon ankündigen, ein Kind verschwunden. Es wiederzufinden ist der Orientierungspunkt der Erzählung. Dass die Sängerin die richtige Person für diese Aufgabe ist, hat sich ebenfalls schon zu Beginn der Geschichte angekündigt. Sie findet - und rettet - allerlei zu Boden gefallene Kleinigkeiten; den Knopf eines Bühnenarbeiters, den schmalen Ring einer Mitreisenden am Busbahnhof, die Kontaktlinse ihrer Mutter. Zuletzt ein kleines verschwundenes Wesen namens Andrea.
 
Eine komplizierte Mischung aus Kindheitsutopie und Erlösungsglaube
 
Und jetzt: wird es atemberaubend. Wir sehen Peter Handke in seiner ganzen Fähigkeit zur sentimentalen Aufladung ontologischer Kindlichkeitsutopien samt ihren christlichen Erlösungsszenerien. Und wir sehen Peter Handkes grandioses ästhetisches Temperament, dessen Experimente den schlichten Wahrheitsanspruch solcher Erlösung, gleichsam aus den Kulissen der Erzählung heraus, infrage stellen. Anders gesagt: Kali folgt dem Prinzip des Epos in lehrbuchhafter Einfachheit und ist dabei komplex bis über beide Ohren. Deutungs- und positionsverunsichernd wie Spiegelsäle - die es in der Geschichte auch wirklich gibt. Ihre abschließende Szene vollzieht sich in der Kirche von »Toter Winkel«. Am Altar steht eine Pastorin und bringt der Gemeinde eine sehr Handkesche, sehr biblisch-expressive Erweckungspredigt zu Ohren. Am Eingang der Kirche aber steht, im Gegenlicht als Silhouette sichtbar, »das wiedergefundene Kind«. Zwei Sätze zuvor waren es noch »zwei Silhouetten, die einer Frau und die eines Kindes«. Unter der Hand ist folglich die Finderin nun selbst - aus dem Bild - verschwunden. Sei es, dass ihre Figur mit der des Kindes an ihrer Seite oder mit der Figur der Pastorin ihr gegenüber verschmolzen ist oder sich aus dem Dreieck Sängerin -Kind - Pastorin eine synthetische Gestalt mit predigender Stimme ergeben hat.
 
Dies ist beileibe nicht das einzige Cross-over-Manöver in diesem Buch. Seine ganze Erzählwelt entfaltet sich, genau genommen, aus Kontrast- und Widerspruchsverhältnissen. Angefangen vom weißen, hell leuchtenden Salzpalast des unterweltlichen Bergwerks. Über die Sängerin, von der womöglich auch deshalb eine Angst einjagende Wirkung ausgeht, weil sie in ihrer beständigen »Verwandlung«, ihrem beständigen Rollenwechsel zwischen Herrscherin und Dienerin, Todesbotin und Heilsbringerin, zwischen indischer Göttin Kali, Kill Bill-Kämpferin und weiblichem Orpheus, deren Blick für den Bergwerksleiter tödlich wäre, nicht eben berechenbar ist. Bis zum rätselhaften Erzähler selbst.
 
Der Erzähler ist wahrlich eine Erscheinung vieldeutiger Erzählordnung. Er dirigiert, kontrolliert, treibt die Handlung wie aus dem Regiestuhl mit dem Drehbuch in der Hand: »In der Limousine. Nacht.« - »Aber weiter in der Geschichte.« - »Immer noch Nacht.« Und verliert bisweilen seine Figuren, als wären sie vom Bildschirm verschwunden, regelrecht aus den Augen: »Nur, wo ist sie, die eingangs Musikantin Genannte?«
Wie bei Handke üblich, ist der Abstand zwischen Autor und Erzähler recht klein. Auf beider Rechnung geht die Tonmischung aus deklamierendem Pathos und kurz fassendem Bericht, der betonte Textrhythmus erinnert an Bühnensprache und die Bühnensituation der Erzählung.
 
Dem Autor geht das künstlerische Feuer nicht aus
 
Die Summe aus all diesem verlangt gehörige poetische Konzentration und - so merkwürdig es klingt - Spaß an der Sache, künstlerisches Feuer. Peter Handke hat als öffentliche Person anstrengende Zeiten hinter sich. Und wir mit ihm. Aber das Feuer geht ihm nicht aus. Auf der kurzen Prosastrecke von 160 großräumig bedruckten Seiten hat er die meisten seiner Lieblingsmotive, die zur Lieblingsidee der Heimkehrreise gehören, konsequent untergebracht. Und dabei die klassischen Erzählbewegungen des Epos, den Zyklus (die Kirchenszene am Ende bindet sich zurück an die Bühnenszene vom Anfang) und die Vertikale des Abstiegs (von der Bühne steigt die Sängerin Schritt für Schritt hinunter in die Salzgrube), im turbulenten Hin und Her der Zeichen aufgemischt. Eine Spur vom guten alten Pop, vom Sinn für Trivialkultur und der Passion für die Formen des Films ist auch dabei. Kurzum: Zu bezweifeln, dass Peter Handke zum Trüppchen der anhaltend interessantesten Größen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur gehört ist einfach Unsinn. Auch wenn man selbst dem Zweifel bisweilen anhängt.
 
[...diese und weitere Besprechungen finden Sie unter www.zeit.de]
 
Leseprobe I Buchbestellung 0407 LYRIKwelt © Die Zeit/Ursula März
 
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2010



 

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